Ulrich Kottenrodt wurde am 7. Juli 1906 als Sohn des Lehrers, Schriftstellers und Publizisten Wilhelm Kotzde-Kottenrodt als 3. Kind geboren. Als Ulrich 12 Jahre alt war, zog die Familie aus der Mark Brandenburg in den Kirchzartner Ortsteil Neuhäuser. Ursächlich für den Umzug war ein Lungenleiden, dass der Vater sich im 1.Weltkrieg zugezogen hatte. Dieser Umzug in die Fremde war nicht einfach. Die Kinder sprachen nur Platt. Das war, als seien sie ins Ausland gezogen. Außerdem wurden sie wegen des Nachnamens gehänselt, der hier in Süddeutschland eine ganz andere Bedeutung hat und sich von Kottenrodt ableitet. Eine Kotte ist ein kleiner Bauernhof, …rodt geht auf das Roden zurück. Die Namensänderung war leider erst mit der Volljährigkeit möglich. Beide Söhne haben sich für die langen Form (Kottenrodt) entschieden. Da die Namensänderung offiziell im amtlichen Namensregister erfolgte, galt der Name ab diesem Zeitpunkt als offizieller Geburtsname, die Behörden machen das nicht umsonst so. Der Vater, der früh die Begabung seiner Söhne erkannte, lies diese durch Privatlehrer unterrichten und unterrichtete sie auch zum Teil selbst. Ulrich hatte mit 14 das Abitur in der Tasche und noch vor der Lehre schickte der Vater die beiden Jungs für ein Jahr quer durch Deutschland auf Wanderschaft. Sie hatten sich bei Bekannten zu melden und sollten alles zeichnen, was dazu geeignet schien. Das war eine hervorragende Vorbereitung auf die Lehre in der Münsterbauhütte des Freiburger Münsters, die beide Jungs auch gemeinsam absolvierten. 1921 zog die Familie von Neuhäuser nach Ebnet an die Steinhalde in das Haus, das teilweise durch Eigenarbeit entstanden war. Mit dem Studium begann eine relativ unbeschwerte Zeit. Die Zeit der Entbehrung nach dem 1.Weltkrieg war vorbei, und da es ihm nicht schwer fiel, auf der Akademie zu brillieren, blieb ihm viel Zeit, um sich in den Bergen beim Klettern und Skifahren auszutoben. Sein ganzes Leben lang erzählte er von seinen Abenteuern in dem Alpen, und das waren noch echte Abenteuer, denn die Ausrüstung war noch einfach: Kein Helm, nur ein Hut, keine Funktionskleidung, sondern Anorak aus Segeltuch, „Knickerbocker“, das sind so eine Art Kniebundhose aus Kord, keine Kletterschuhe aus Synthetik mit griffiger Sohle, sondern genagelte Lederstiefel, das Seil war aus Hanf, der Rucksack genau was das Wort bedeutet, ein Sack aus Segeltuch mit Lederriemen, um ihn auf dem Rücken zu tragen. Als Ski hatte er das Beste was es damals gab, Esche mit Hickory und Riemen, um sie an die Nagelstiefel zu schnallen. Damit war er hochalpin unterwegs. Natürlich blieben haarige Situationen nicht aus, und sein Schutzengel hatte reichlich zu tun. Jedoch im Nachhinein geben genau diese Abenteuer natürlich herrlichen Erzählstoff ab. Aber man hörte aus diesen Geschichten auch seine Naturverbundenheit heraus, die ihm sein ganzes Leben wichtig war.
Den ersten Teil des Studiums in Wien 1925-1927 hat er sich mit den Märchenfiguren für die Villa Mez verdient. 1928 fing er in München an zu studieren und hat für das Deutsche Museum kleine Figuren gefertigt, die das Leben der Menschen in der Steinzeit illustrierten. Seine Freizeit verbrachte er weiterhin in den Alpen.
Aus seiner Studienzeit, die er 1932 in Berlin begonnen hatte, hat er wenig erzählt. Nur von Prof. Hugo Lederer, von dem er auch menschlich viel gehalten hat. Aus dieser Zeit gibt es nur kleine Plastiken, die er wohl privat verkauft hat z.B. die Ballspielerin, die Liegende, und eine fast sitzende Frau. Aber die Berliner Zeit war kurz, dabei war er so stolz darauf, eines der begehrten Meisterateliers bekommen zu haben, denn es war die Auszeichnung für die besten Künstler des Jahrgangs.
Da Prof. Hugo Lederer politisch neutral war und nicht dazu bereit in „die Partei“ einzutreten, wurde er aus Amt und Würden gejagt. Denn eine neue Zeit brach an, eine schreckliche Zeit, und wer sich politisch nicht anpassen wollte, für den war Berlin nicht mehr die richtige Stadt. Künstler sind Teil des öffentlichen Lebens. Was anderen in totalitären Staaten gelingen mag, ist für Künstler ein schwieriger Parcours, der wohl vorerst noch gelungen ist. Der Kreis um Prof. Hugo Lederer, zu dem auch Käthe Kollwitz gehörte, war bekannt genug, um sich mit Kleinplastiken über Wasser zu halten und Ulrich Kottenrodt profitierte sicher auch davon. Er ist erst mal nicht in den Fokus der Machthaber geraten und hat trotzdem gut verdient. So gut, dass er einiges auf die Seite legen konnte.
Und dann kam der Krieg. Sicher war die Lügenpresse, dass Deutschland von Polen angegriffen worden sei, erst mal nicht so einfach zu durchschauen. Ulrich Kottenrodts Reaktion war, sich lieber freiwillig zu melden und sich aussuchen zu können, wo es hin geht. Er meldete sich zu den Bergjägern und wurde zum Pionier ausgebildet. Da er ein studierter Mann war, wurde er automatisch zum Unteroffizier.
Im Gegensatz zu Vielen hat er sehr wenig von den Schrecken des Krieges erzählt, aber für den jungen, empfindsamen Künstler muss es schrecklich gewesen sein. Jedenfalls muss er vor Rom gelegen haben. Rom, die Stadt seiner Träume, Michelangelo sein Idol. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich denken zu können, dass es ihm fast das Herz zerrissen hat. Er hat nur erzählt, dass er sich auf dem kalten Marmor erkältet habe, und daraus eine Lungenentzündung wurde, mit Beteiligung des Rippenfells. Zur damaligen Zeit hätte das den Tod bedeuten können.
Er kam ins Lazarett nach Ulm und ihm wurde wochenlang der Eiter per Punktion aus der Lunge gezogen. Penicillin gab es keines mehr. Überlebt hat er vermutlich nur, weil sein Vater eine befreundete Familie bat, sich um ihn zu kümmern. Anstatt einer „Reha“ war der Ernteeinsatz vorgesehen, danach hätte es wieder an die Front gehen sollen. Aber er wollte nicht mehr an die Front, denn seine Gesundheit hatte sich merklich verschlechtert und ihm war die Liebe begegnet. Sie war eine junge Säuglingskrankenschwester, deren Aufgabe es war, alle Neugeborenen in und um Schwäbisch Gmünd zu betreuen. Sie nahmen jeden Tag das Mittagessen im gleichen Gasthaus ein.
Kottenrodt wollte nicht wieder an die Front, und um freigestellt zu werden, musste er etwas Kriegswichtiges schaffen. Nur so lässt sich erklären, warum er von seiner neutralen Haltung abgewichen ist. Zwar so wenig wie möglich, wenn man seine Arbeiten anschaut, aber eben doch. Er versuchte die Zeit weiter auszudehnen und lebte mit seiner jungen Frau ein Jahr in Straßburg. Danach kehrte der Künstler mit seiner jungen Ehefrau nach Freiburg Ebnet zurück und in seinem Freiburger Atelier sind dann die Arbeiten, „Greis“ und „Maid“ entstanden, welche heutzutage am Portal des Freiburger Universitätsklinikums zu finden sind, sowie das Portal am ehemaligen Reichsbahn Waisenhort, heutiges Studentenwohnheim, mit der „Mütterlichen“ mit zwei Kindern und die Schwanenmaid, die ursprünglich auf einem Brunnen in Villingen Schwenningen stand, aber heute vor dem Alterswohnsitz des Künstlers in St. Märgen steht.
Dass er von der damaligen Presse instrumentalisiert wurde, war wohl nicht mehr zu verhindern. Er war nicht mehr geschützt durch eine Künstlergruppe und seine junge Familie musste ernährt werden. Letztlich musste er noch mal an die Front zurück. Die Geburt seines ersten Sohnes hat er, wie so viele Väter damals, nicht miterlebt. Das halbe Dorf war in seiner Kompanie und sein erklärtes Ziel war, möglichst viele wieder gesund nach Hause zu bringen. So erzählte er es seiner Frau, die verzweifelt auf ihn gewartet hatte, und jeden der nach Hause kam gefragt hat, wo denn ihr Uli bleibe. Er kam als Letzter, da er zunächst den Rückzug seiner Kameraden gesichert hat. Aus dieser Zeit sind ihm viele Freunde geblieben.
Nach dem Krieg gingen die Sorgen erst so richtig los. Das ist hinlänglich bekannt. Kottenrodt musste nicht nur seine Familie ernähren, sondern auch noch seine Eltern unterstützen und die seiner Schwester, deren Mann noch in russischer Gefangenschaft war. Da Freiburg französische Zone gewesen ist, war Einfallsreichtum gefragt. Das können Künstler. Deswegen fuhr er jeden mit dem Fahrrad an den Kaiserstuhl, zur Kirschenernte, zu der er sich freiwillig gemeldet hatte und mit Kirschen entlohnt wurde. Das zuvor Gesparte war entwertet, weshalb nichts daraus wurde, die beengte Wohnsituation zu beenden und auf dem schon gekauften Grundstück in Hinterzarten, aus dem auch schon vorhandenen Baumaterial, ein Holzhaus zu bauen.
Als seine liebe Frau wieder schwanger war, wurde die Lage wirklich prekär. Zwillinge waren unterwegs und es wäre, wegen der Unterernährung der Mutter, fast zu einer Fehlgeburt gekommen. Der befreundete Frauenarzt brachte Margarete in seinem Krankenhaus unter und päppelte sie hoch. So konnte die Geburt bis auf vier Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin hinausgezögert werden. Aber die Gefahr war noch nicht gebannt, die Zwillinge waren unter den damaligen Bedingungen kaum lebensfähig. Es gab kein fließend Wasser, Trinkwasser musste im 1km entfernten Dort geholt werden, das zum Waschen aus dem Bach. Die Säuglinge konnten nicht saugen, sie mussten die abgepumpte Milch mit dem Teelöffel eingeflößt bekommen. Nur durch den zuvorigen Einsatz der Mutter als Krankenschwester war das Leben der Kinder zu retten. Die Kinderärztin, Frau Dr. Gertrud Lehr, war bald zur Freundin geworden. Auch sie wurde mit Kleinplastiken entlohnt und für ihre Familie schnitzte der Künstler eine Weihnachtskrippe. Da jede Arbeit erst in Ton geformt werden musste und dann ein Gipsabguss angefertigt wurde, war diese reproduzierbar und er konnte diese auch an weitere Mitglieder der Familie Lehr verkaufen.
Es dauerte für alle Menschen lange, bis sie wieder auf die Füße kamen. Für Künstler dauerte es länger, denn wer denkt an Kunst, wenn es ums reine Überleben geht. Der Künstler hielt sich mit Kleinplastiken und Renovierungsarbeiten, auch an Grabsteinen, über Wasser. Erst später kam der Erfolg zurück, wenn auch erst sehr zögerlich.
Mit dem acht Jahre später geborenen jüngsten Sohn, war die Familie komplett. Immer wieder kam es durch Krankheit zu Rückschlägen. Auch Kottenrodt blieb ein Kriegsleiden zurück, das nie ganz ausheilte. Bildhauerei ist eine körperlich schwere Arbeit und durch den Steinstaub verschlimmerte sich das Leiden. Wenn man sieht, was er alles geschaffen hat, wundert man sich, dass es oft nicht für die Familie reichte und Not ein Begleiter blieb. Aber oft wurden die Arbeiten schlecht bezahlt. Aber im Großen und Ganzen war er erfolgreich, auch wenn er nie mit sich zufrieden war.